Für einen Menschen wie mich, der NIE krank wird, ist solch ein Schicksalsschlag, wie er mir vor ein paar Monaten eine mittlere Katastrophe. Von einem auf den anderen Tag hats mir in die Beine gefahren und seither quälte mich der Ischias. Erst der am rechten Bein, dann der am Linken. Als harter Schwarzwälder, der gewohnt ist – im übertragenem Sinne – im Winter zu Fuß durch 2m hohem Schnee in die Schule zu gehen, kann mich so ein leichtes Zwicken nicht umhauen und außerdem glaube ich an die Selbstheilungskräfte des Körpers. Nachdem das Leiden nicht besser, sondern sich im Gegenteil verschlechterte und dieser unbefriedigende Zustand nach 2 Monaten seinen Höhepunkt darin fand, dass ich mich nur noch wie ein Pflegestufe 4 Patient vom Sofa wälzen und unter unmenschlichen Qualen mir die Schuhe anziehen konnte, drohte mir Susanne, wenn ich nicht bald professionelle Hilfe in Anspruch nehmen würde, sie das weitere Zusammenleben mit mir ernstlich zu überdenken.

Mit diesem Druck im Hinterkopf und dem sowieso schon stechenden Schmerz am linken Oberschenkel, trafen wir vor einigen Wochen eine ehemalige Kollegin beim Einkaufsbummel. Beim überteuerten Kaffee in der Theatinerstraße erklärte mir diese, dass ich unbedingt ihre Osthepatin ausprobieren solle. Diese Frau würde Wunder bewirken. Eine Woche, mehrere drohenden Gespräche von Susanne und eine Familienschachtel Schmerzmittel später habe ich dann doch den Weg zum Telefon gefunden und bei der mir empfohlenen Dame angerufen. Da sie zur Zeit keine weiteren Patienten aufnahm bekam ich die Nummer ihres Kollegen, der mindestens genauso gut und erfahren sei wie sie.

Eine weitere Woche und eine weitere Familienpackung Schmerzmittel später saß ich dann diesem Menschen gegenüber, der mich nun schnell von meiner kleinen Unpässlichkeit befreien sollte. Um es vorweg zu sagen, ich bin wirklich kein Mensch, der an Esoterik, Wunderheilung oder ähnliche parapsychologische Phänomene glaubt. Insofern war mir nicht ganz klar, wie mir ein Ostheopat würde helfen können, außer vielleicht in dem er den einen oder anderen verschobenen Knochen an seinen eigentlich angestammten Platz wieder einrenkt. Ich sollet eines besseren belehrt werden.

Nachdem er mich 20 Minuten nach diversen Krankheiten und Verletzungen, die im Laufe meines ereignisreichen Lebens meinen adonisgleichen Körper anheimfielen ausfragte, sollte ich mich ausziehen, damit der Künstler meinen geschundenen Leib in Augenschein nehmen konnte. Etwas unheimlich empfand ich das 5-minütige Handauflegen auf meine untere Wirbelsäule. Als wissenschaftlich interessierten Mensch wollte ich wissen, ob er damit den Rückenmuskel Erwärmen wolle, um dann mit seinem Knochenbrecher Know-how fortzufahren. Umso erstaunter war ich, als die Frage mit einem Lächeln und einem Nein beantwortet wurde. So erfühle er ob und wo ich in meinem Körper Verspannungen habe. Meine innere Unruhe, hier an einen obskuren Wunderheiler (vulgo Quacksalber) geraten zu sein, wurde nicht unbedingt weniger, als er mich auf seine Bahre komplimentierte und weitere fünf Minuten einfach nur meine beiden Beine 10 cm anhob. Da die diversen Prozeduren schweigend und ohne Erklärungen vorgenommen wurden, war ich nach einer halben Stunde sicher, hier von einem selbsternannten Wunderheiler behandelt zu werden, der vielleicht selbst von seinen Fähigkeiten überzeugt ist, mir bei meinem kleinen Problem mit dem Ischias im Bein nicht weiterhelfen würde.

Als ich mich geistig schon darauf eingestellt hatte, für den nächsten „Behandlungsschritt“ mit energetisch aufgeladenen Wundersteinen belegt oder ein rituelles Räucheropfer mit von thailändischen Jungfrauen vor Morgengrauen im Hochland gepflückten Zauberkräutern vorzunehmen, verblüffte mich der Ostheopat erneut. Mit sorgevollem Blick legte er erst eine Hand auf meinen Bauch, um dann mit einem wirklich unangenehmen Griff weitere 3 Minuten auf der oberen Magengegend zu drücken. Mein Unwohlsein wurde verstärkt, als meine Darmflora zu werkeln und zu gurgeln begann und mich urplötzlich das dringende Bedürfnis übermannte, einen stillen Ort für die wirklich großen Geschäfte aufzusuchen. Nur Dank größter Körperbeherrschung und geistiger Willenskraft konnte ich wohl einen der peinlichsten Augenblicke meines Lebens verhindern.

Endlich fand der Ostheopat seine Stimme wieder und fragte, ob es sein könne, dass sich bei mir Stress mit dem Verkrampfen des Magens äußere. Das konnte ich nur voll bejahen. Danach führte er sein Werk an meinem Kopf fort, indem er ihn ähnlich wie bei meinen Beinen einfach eine Zeitlang leicht nach oben hob.

Nach einer knappen Stunde war der Spuk dann vorbei. Als kritischer Patient wollte ich wissen, was wir beide die letzte Stunde denn gemacht und rausgefunden haben. Außerdem hatte ich nicht das Gefühl, dass er auch nur annähernd etwas an meinem Ischias krankendem Bein getan hatte. Unterschwellig wollte ich zudem erfahren, für was ich diesen Menschen denn bezahlen sollte. Und dann wurde es interessant. Er erklärte mir, dass er als Ostheopat keine Diagnosen stellen dürfe, das obliege lediglich einem Arzt. Er nehme aber an, dass der Auslöser für meine Schmerzen der total verspannte Dickdarm sei, der irgendwann die Muskelanspannung absorbieren konnte und daraufhin die Spannungen auf die Lendenwirbel verlagerte. Diese konnten irgendwann den Druck nicht mehr ausgleichen, woraufhin diese die Belastung erst in den rechten Ischias und dann in den linken Ischias weitergab. Und als der dann keine Möglichkeit hatte, die Spannung auszugleichen kam es einfach zum Ausbruch der Schmerzen. Das Ganze sei ein Prozess der über Jahre gegangen sein kann. Außerdem wäre es gut möglich, dass in den nächsten ein, zwei Tagen der Schmerz zunehmen könnte, bis er langsam abklingen würde.

Fasziniert von dieser verklausulierten Prognose und mit einem weiteren Termin eine Woche später in der Tasche ging ich nachhause. In dieser Nacht hatte ich ein noch nie dagewesenes wohlig warmes Gefühl im Bauch und schlief wie ein Säugling. Mein neuer Guru hatte Recht, am nächsten Tag hatte ich größere Schmerzen als zuvor, aber danach wurden die Beschwerden langsam besser. Ich hatte noch zwei Weitere Sitzungen und mittlerweile habe ich fast keine Beschwerden mehr. Und das ohne Spritzen oder sonstigen Medikamente.

Heute bin ich einer der größten Fans von der Lehre von Ostheopatie und frage mich, warum diese Art der Behandlung nicht von der Krankenkasse bezahlt wird. Ich bin sicher, wäre ich zu einem Orthopäde gegangen, hätte der mir Linderung mittels Medikamenten verschafft, aber nicht den Auslöser der Ursache behandelt. Wer kommt denn schon darauf, dass ein Schmerz im linken Bein über drei Ecken vom Magen ausgelöst wird? Das kostet den Kassen auf Dauer mehr als drei Sitzungen bei einem Ostheopaten, belastet den Patienten weniger, weil er keine Medikamente mit möglichen Nebenwirkungen einnehmen muss.

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