Graffitis – wenn das keine Kunst ist? Ein Baselitz hat schon Schlimmerers für viel Geld als Kunst verkauft

Ich habe ein neues Hobby. Wenn man überhaupt von einem Hobby sprechen kann. Faszinierender weise umfasst es so ziemlich alles, was einem distinguierten, urbanen  Mann mittleren Alters Spaß macht (von viel zu jungen Frauen in zu knappen Röckchen und Blüschen mal abgesehen) – moderne Kunst, High-Tech und Spieltrieb. Und das Beste daran, es kostet so gut wie nichts! Es handelt sich hierbei um das unglaublich preiswerte Vergnügen Straßenkunst zu entdecken, fotografieren und auf einem Blog hochzuladen, damit der Rest der Welt an der Schönheit der Kunst teilhaben kann.

Das Ganze hat sich mehr entwickelt, als dass es geplant war. Vor einiger Zeit kam ein Bericht über Streetart im Fernsehen. Da wurde mir zum ersten Mal bewusst, dass nicht alles, was an Wände gesprüht und geklebt wird blödsinnige Schmiererei ist, sondern teilweise einen richtig hohen künstlerischen Anspruch hat. Kurz darauf hörte ich beim joggen einer meiner Nerd-Podcasts einen Bericht, der zufällig auch das Thema Streetart zum Thema hatte. Interessanterweise fielen mir während des Joggens und des Zuhörens eine Menge Graffitis, Stencils und Sticker auf, auf die ich sonst nie geachtete hätte. Derart sensibilisiert läuft es sich gleich ganz anders durch die Schluchten der Großstadt. Selbst München, das man mit seinem konservativen Savoir-vivre wohl schwerlich als klassisches Graffiti Eldorado bezeichnen kann, hat für das geübte Auge eine Menge Preziosen zu bieten.

auch das ist Kunst. Ein lustiger Sticker auf einem Straßenschild

Seit ein paar Monaten habe eine kleine Webseite aufgesetzt, auf der ich nun Fotos von Streetart mittels meines Smarthphones (ich berichtete) sozusagen „on the go“ und total „realtime“ hochlade. Und das faszinierendste: mittels GPS-Daten, die ich mitangebe, lassen sich die gefunden Kunstwerke für jedermann wiederfinden, so er denn den link zum Bild anklickt und sich die Straßenkarte anzeigen lässt. Die moderne Technik macht das auch für technisch wenig Versierte wie mich möglich. (Wieso können DVD Rekorder nicht so einfach programmiert werden?) Endlich macht ein Smartphone Sinn und ich weiß, warum ich schon immer eines gebraucht habe! Der neue, strahlende Stern der Subkultur Websites lässt sich übrigens unter www.munichstreetart.com finden.

Streetart will nicht nur untehralten sonder ist auch häufig politisch

Das Ganze ist wie Ostereier suchen, nur eben nicht auf eine kurze, von christlichen Dogmen vordefinierte Zeitspanne sondern fürs Ganze Jahr. Das Entdecken eines neuen Motivs findet erfreut diebisch und das Belohnungszentrum im Stammhirn bedankt sich mit der Ausschüttung von Endorphinen. Nur statt des Aufhebens des Eies wird von dem Kunstwerk ein Foto geschossen und statt sich zu überlegen, wie viele gekochte Eier den Cholesterinspiegel zum Platzen bringt oder wie viel Eiersalat sinnvoll eingefroren werden kann ohne den Eisschrank zu überfüllen, lädt man hier seine Trophäe mit einem Knopfdruck auf eine Internetseite, an der sich alle Menschen erfreuen können, so sie sich denn überhaupt auf munichstreetart verirren sollten. Noch ist das öffentliche Interesse auf mich und meine nähere soziale Umgebung beschränkt. Aber interessanter weise kommen etwa 30% der Internetzugriffe aus den Weiten des ehemaligen Sowjetreiches. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht wollen die Menschen dort auch einmal entartete Kunst des dekadenten Westens sehen.

Mittlerweile habe ich meinen Kunstsammelvirus sogar weitergegen. Meiner Kollegin Tanja, die mich in Mittagspausen auf ausgedehnte Erkundungsspaziergänge um unser Büro begleitet, habe ich nun ebenfalls die Software installiert, um von ihrem Handy Fotos von Graffitis, Pochoirs, Paste-ups und Co. hochladen zu können, die sie findet und für veröffentlichungswürdig hält.

Wer weiß, sollte aus meinem kleinen Projekt irgendwann einmal eine große Sache werden, könnte ich mich gut als Gallerist vorstellen, der ausgesägte Mauerteile mit Graffitis von Banksy und Loomit zu einem Höllenpreis verkauft. Das kann eigentlich nicht mehr lange dauern, jetzt, wo ich die urbane Kunstszene mit munichstreetart.com aufmische…

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