Dieses Wochenende besuchten Susanne und ich eine ganz besondere Veranstaltung. Meine Kollegin Jessy wies mich darauf hin,  dass in München das größte Vintage Computer Festival in Europa stattfinden würde. Sie wisse das, da sie Besuch aus Oldenburg bekomme. Ihr Bekannter betreibe dort das Computermuseum und der müsse unbedingt auf die Veranstaltung nach München, um dort ausrangierte Computer  zu bewundern und mit deren Besitzern zu fachsimpeln. Bestimmt wird er auch den ein oder anderen selbstgebrannten EEPROM und Schaltplan ausgetauscht haben, um eines seiner 30 Jahre alten Juwele wieder zum Piepsen zu bringen.  Natürlich war sofort Feuer und Flamme und zerrte Susanne trotz tropischen Temperaturen zu dieser Veranstaltung der etwas anderen Art. Ich liebe die Serie „Big Bang Theory“, in der es um vier verschrobene Geeks geht, die zwar hochintelligent sind, aber in alltäglichen zwischenmenschlichen Dingen eher unbeholfen von einem Fettnäpfchen ins nächste stolpern. Auf dieser Computermesse würde ich eben diese exotischen Exemplare der menschlichen Rasse bewundern können. Und ja, es reizte mich auch etwas in der guten alten Homecomputer Zeit schwelgen können, als ein 8-Bit Rechner mit Floppy Disc noch ein Büffel  unter den digitalen Rechenmaschinen und gefühlt ein HAL 9000 für den Hausgebrauch war.

Schon beim Ausgang der S-Bahn Station war sofort erkenntlich, wer von den Fahrgästen vom Einkauf in der Innenstadt auf dem Weg nachhause war und wer auf dem Weg zur Computer Convention. Bleiche Hünen mit Pferdeschwanz, schwarzen Black Sabath T-Shirt und schweren Silberschmuck waren ebenso anzutreffen wie ältere Herren mit korrekt sitzender beiger  Bundfaltenhose, schlammfarbenem Hemd, Nerdbrille (welche die Person schon seit 20 Jahren auf der Nase trägt, weil sie praktisch ist und nicht weil Berlin Mitte Hipster die unförmigen Dinger als neuestes It-Accesoire für sich entdeckt haben) und graumelierten Scheitel – Typ Mathematik- und Physiklehrer Oberstufe.

Robotron – fromschön und DAS Gerät der Wahl, wenn Erich Honecker Lust auf eine Runde Tetris spielen bekam

Der Eintrittspreis war mit 5 Euro pro Person eher symbolisch zu nehmen und schon war der Weg frei zu einer Sporthalle voller Computerschätze, Second Hand Equipment mit besonders dickem Patina, russischen, sozialistischen Steckeranschlüsse, die jeden atomaren Angriff des Westens unbeschadet überlebt hätten und Computerbücher zu Betriebssystemen, von denen noch nie ein Mensch zuvor gehört hat. Neben Klassikern der Computer Historie wie den liebevoll als „Brotkasten“ bezeichneten Commodore C64 mit seinem unglaublich langsamen Floppy Disc Laufwerk fanden sich auch funktionstüchtige Next Workstation (der Kenner weiß, das waren die Supercomputer, die Steven Jobs nach seinem Rausschmiss bei Apple baute und leider nie große Verbreitung fanden, weil sie der Zeit voraus und so teuer waren wie ein Ford Fiesta mit Sportfahrwerk und Rallye Streifen). Ein Sammler brachte sogar den Ur-Apple I mit, original im selbstgezimmerten Holzgehäuse und Mini Bildschirmröhre.

So sehen gefühlte 100 Jahre Computergeschichte auf einem Fleck aus

Ieressant fand ich auch einen Robotron Computer, der in den neuen Bundesländern gebaut wurde, als diese noch SBZ hieß, gebaut wurde. Optisch sah die Kiste schon ganz professionell aus. Das Innenleben war allerdings auch schon zu seiner Zeit nicht wirklich state of the art. Aber zum Berechnen von ballistischen Flugbahnen auf westlich imperiale Ziele wird sie schon gereicht haben.

Bemerkenswert war auch die Auswahl von Spieleautomaten, die irgendwie die Jahrzehnte überlebt haben und sogar noch bespielbar waren. Jüngere Generationen können das ja nicht mehr verstehen, aber Spiele wie Gauntlet waren vor 30 Jahren tatsächlich der ur- ur- ur- Opa von World of Warcraft, bei dem es darum geht, als Elf, Zauberer oder Barbar durch Labyrinthe zu marschieren, dabei viele böse Geister zu töten und ab und an einen Schatz zu finden. Damals nur eben in 2D, 8-farb Glötzlegrafik und nicht in Kino Leinwandqualität wie heute. Das könnte auch der Grund gewesen sein, dass die Problematik der Spielesucht damals noch nicht solch dramatische Dimensionen hatte wie heute – wenn es überhaupt dieses Problem gab.

Echte Liebhaber beim Zocken. Die etwas andere Art des Brettspiels

Aber am interessantesten war mit Abstand das Publikum. Wie zu erwarten konnte der Frauenanteil in Promillesätze errechnet werden und der Rest waren Bilderbuch Nerds wie die Jungs, die mir schon bei der S-Bahn auffielen. So konnte ich T-Shirts am lebenden Menschen getragen sehen, die ich nur von der Webseite thinkgeek her kenne.  Besonders beeindruckte mich ein Mann mittleren Alters, der einen Aufdruck von Yoda auf der Brust trug, der mit „You off you fuck you must“ untertitelt war. Ein anderes herausragendes Exemplar der aktuellen Geek-Kollektion 2012 trug wiederum ein Herr mittleren Alters mit undefinierbarer Sturmfrisur und Nickelbrille. Auf seinem Bauch spannte sich eine stilisierte, angebissene Wurst (vom Apple Logo entlehnt) und drunter stand Wurst.

Als Highlight kann ich noch berichten, dass wir vom Veranstalter persönlich angesprochen wurden, der uns nach unserer Meinung zu diesem Event fragte. Natürlich prima, was auch stimmte. Aber nach einer Stunde sind wir dann doch wieder aufgebrochen. Zuviel Geek- und Nerdkultur ist auch für mich nicht so leicht zu verkraften und dazu war es noch brüllend heiß in der Halle. Die ollen Kisten müssen ganz schon Saft gezogen haben. Ich glaube damals hatte man es noch nicht so mit Stromsparen wie heute. Wir hätten noch diverse Vorträge anhören können, die „Die Zork-Maschine“, „i860 – Architektur und Anwendung“ oder  ganz spannend „Technische Konzepte des ZX81 Emulator AX81“ zum Thema hatten (wenn das nicht „Big-Bang-Theory“ in echt ist weiß ich auch nicht). Wir beließen es aber mit der Würdigung der ausgestellten Exponate und verließen die Veranstaltung mit einem Lächeln und Erinnerungen von der Guten alten Computerzeit, um den sonnigen Nachmittag beim Eis bei unserem Eisdealers unseres Vertrauens ausklingen zu lassen.

Sollte sich wieder so ein Event bei uns in der Nähe werde ich unbedingt wieder vorbeischauen. Und ich kann das auch nur jedem Nostalgiker empfehlen, der wie ich seine ersten Computergehversuche mit Fernsehbildschirm, Basic und Format D: gemacht hat. Es war ne lustige Zeit, als man die neuesten Spiele noch über dunkle Kanäle auf dem Schulhof getauscht hat und sie nicht wie heute einfach mal kurz „ausm Netz“ zieht. Spannend zu überlegen, wie eine Computer Vintage Messe in 30 Jahren aussehen wird und dort die ersten iPads und Android Smartphones ausgestellt werden und die heutigen Kids begeistert ausrufen werden: „geil, mit dem Gerät hab ich meine erste Video-MMS an meine damalige Freundin verschickt! Sowas gibt’s heute ja gar nicht mehr…!“.

Und als krönender Abschluß: das war mein erster eigener Computer. Bitter vom eigenem Geld erspart und entsprechend geliebt. Meiner funktioniert allerdings nicht mehr, sofern mein alter Herr die Kiste nicht schon längst beim Kellerentrümpeln entsorgt hat.

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