das „coolste Hotel“ der Welt

…. so lautet zumindest die Eigenwerbung des Icehotel in Jukkasjärvi, in welchem wir Dank unseres Skandinavien Rundreisepaketes zwei Nächte verbringen durften und das in gewisser Weise auch eine Art Highlight der Reise sein sollte, da der Aufenthalt auf unseren Hochzeitstag fiel. Um es vorweg zu sagen, in gewissem Sinne beschreibt “cool” das Konzept dieses Hotels absolut perfekt, vielleicht nur nicht in der Weise, wie es die durchgestylten Fotos der Webseite des Hotels vermuten lassen.

Aber beginnen wir mit unserer Ankunft bei schönstem Wetter und Sonnenschein. Nach einer ungewöhnlich schlauchenden Nacht in einem Liegewagenabteil der Schwedischen Staatsbahn, dessen Ausmaße, Komfort und Platzzuteilung pro Passagier in etwa denen eines stalinistischen Gefangenentransports in Richtung weit entfernten Gulags im sibirischen Permafrost entsprach, erreichten wir Kiruna. Dort wechselten wir die Pferde und überbrückten die letzten 20 km bis zum sagenumwobenen Icehotel mit Hilfe eines Taxis, dessen Fahrer die Gunst der leeren Straßen nutzte und ein Netflixvideo auf dem auf der Mittelkonsole liegenden Smartphone mit einem Auge mitverfolgte.

Entsprechend der hinter uns liegenden Strapazen dürfte es leicht nachvollziehbar sein, wie sehr wir uns auf eine heiße Dusche, frische Kleidung und ein ausgiebiges Frühstück inklusive frisch gebrühtem Kaffee freuten. Leider deckte sich unsere Vorstellung einer idealen Welt nicht im geringsten mit den vor Ort gegebenen Tatsachen. Scheinbar ist es für ein cooles Hotel wie dem Icehotel normal, dass Gäste nicht vor 15 Uhr einchecken können, weil die Zimmer noch belegt sind. In einer weniger lebensfeindlichen Umgebung wie der hiesigen, würde man sich seine Gedanken zum Service des Hotels machen und suchte ein Café in der Nähe, um wenigstens das ersehnte Frühstück in Angriff nehmen zu können. Sollten die Fachkräfte des Hotels es dann immer noch nicht geschafft haben, ein Zimmer bezugsfertig bekommen zu haben, läßt sich die Zeit bis zur heißen Dusche immer noch mit der Expedition der näheren Umgebung und Souvenirshopping sinnvoll überbrücken.

Diese glücklichen Umstände sind leider bei Buchung einer 200 Km nördlich des Polarkreises liegenden Destination wie dem Icehotel nicht gegeben – zumindest nicht, wenn es sich um eine andere Jahreszeit als den regionalen sehr kurzen Sommer handelt. In unserem konkreten Fall reden wir von chilligen 20 Grad, die sich südlich des Nullpunkts der weithin bekannten Grad Celsius Skala befinden. Selbst ich, der von sich mit Stolz behaupten kann, durch alle Wetterwidrigkeiten des Schwarzwaldes geprägt worden zu sein und mittels unmenschlichen, winterlichen Schneeräummarathons die körperlich und geistige Stählung eines spartanischen Prätorianers erlangt zu haben, muss eingestehen, dass der in unseren gemäßigten Breitengraden leicht ausgesprochene Begriff „a…kalt“ unbedingt eine neue Definition benötigt. Für alle, deren extremste Kälteerfahrung der Besuch des begehbaren Tiefkühlabteils eines Megastore Supermarktes ist, möchte ich verständlich machen, dass jede Temperatur, die trotz Zwiebelschichtkleidung, dicker Thermomütze und -handschuhen sowie schwersten Winterboots nicht nach spätestens drei Minuten schwere Unterkühlungserscheinungen am ganzen Körper hervorruft, nichts weiter als eine kühle Sommerbrise zu werten ist.

Wir reden hier also von absolut lebensfeindlichen Temperaturen, denen sich niemand freiwillig nur mal eben so zum Zeitvertreib oder Füße vertreten aussetzt.

Nun haben wir also die etwas ungeschmeidige Situation, es ist kurz nach neun Uhr am Morgen, unsere 15 stündige Anreise steckt noch tief in den Knochen, wir befinden uns irgendwo im schwedischen Niemandsland, wo der Weihnachtsmann seine Rentiere für seine jährliche große Geschenke Tour bestellt, der nächste Autovermieter und Taxistand laut Google Maps 25 km entfernt ist, und von ein paar einzelnen Häusern abgesehen, wohin das Auge schaut, nichts anderes als verschneite Tundraeiswüste, vorzufinden ist. Und nun steht ein lächelnder, freundlicher, etwas fahrig wirkende Herr an der Rezeption, der uns trotz mehrmaligen Nachfragens den Einlass für die nächsten fünf Stunden beharrlich verweigert.

Soviel sei verraten, man darf den Lobbybereich des „coolen” Eishotels nicht mit den Hochglanzfotos von den kristallfunkelnden Zimmern und Sälen verwechseln. Diese hat nämlich beim Realitätscheck die Anmutung und den Wohlfühlfaktor einer von Schulklassenfahrten hochfrequentierter Jugendherberge. Außerdem kommt der Kaffee aus dem Automat und kostet umgerechnet drei Euro. Allerdings entdeckte ich per Zufall, dass das heiße Wasser for free gezapft werden kann. Und nicht zu vergessen, das Wlan ist superschnell und natürlich kostenlos – wir befinden uns schließlich immer noch in Schweden. Hier gilt die 100 prozentige Abdeckung des Landes mit schnellem Internet. Somit war zumindest das Thema Entertainment keines, dem man hätte Sorge tragen müssen.

Ja, es gibt viele Möglichkeiten, seinen Hochzeitstag zu verbringen. Und, wer kann schon sagen, dass er den seinen in einer Hotellobby bei Kräutertee und Youtube Bingewatching verbracht hat.

Gut, auf Reisen können immer unvorhersehbare Dinge passieren. Und nicht selten sind genau diese „happy little accidents“ jene Situationen, die sich als unvergessliche Geschichten für ewig ins Langzeitgedächtnis einbrennen. Dank Internet und Google Maps entdeckten wir den einzigen Supermarkt im Umkreis von 30 Kilometern, der tatsächlich in Gehweite lag. Und dort wiederum war ein Museumsdorf der Sami ausgeschildert, das in ca 20 Minuten zu Fuß erreichbar war. Natürlich trotzten wir der Außentemperatur und stapften unter der Gefahr auf Erfrierungen oder totaler Erschöpfung zu besagtem Dorf. Somit wurde das Warten auf unsere heiße Dusche doch noch erträglich und sogar interessant.

Soweit, so „cool“. Der Moment, an dem ich meine Coolness dann doch über des Menschen tragbaren getestet sah, war am nächsten Morgen. Wir sollten für die zweite Nacht aus unserem „Standardzimmer“ bis spätestens 11 Uhr auschecken, um uns dann wiederum für ein Zimmer im eigentlichen Eishotel einzuchecken. Dessen Wände, Möbel und Statuen bestehen komplett aus Eis und  Dank raffiniert platzierter Lichtquellen funkelt es wie in einem Schloss aus purem Bergkristall und schafft so eine wirklich zauberhafte Atmosphäre.

Es hätte mich eigentlich schon stutzig machen sollen, dass niemand vom Hotelpersonal auf die naheliegende Idee kam, unsere Koffer in unsere neuen Gemächer zu bringen, anderenorts wird solch eine Dienstleistung – glaube ich – Service am Gast genannt. Stattdessen zerrten Susanne und ich unser schweres Gepäck zur Rezeption, um wie gewünscht eine Umbuchung der Zimmer vorzunehmen. Nicht weniger wurden wir vom gleichen Rezeptionisten des Vortages mit der Information überrascht, dass wir unser Eiszimmer erst abends um 18 Uhr beziehen können, da die Zimmer bis dahin gegen ein Entgelt durch die Öffentlichkeit zu bestaunen sind. Cooles Icehotel, coole Nummer! Man kann wirklich nicht behaupten, dass der Claim des Hotels auch nur im geringsten fälschlich gewählt worden wäre. Ich brauche sicher nicht zu erwähnen, dass es über Nacht zu einem Klimakollaps kam, die Erderwärmung auf noch nie dagewesene Extreme zuschlug und plötzlich Plusgrade vor der Haustüre herrschten. Ich sage nur: minus zwanzig Grad Celsius… 

Darum lieber Leser, sei gewarnt vor coolen Locations! Wenn es ganz dumm läuft, bekommen Begriffe wie frieren und frostige Stimmung eine ganz neue Bedeutung. Die Lehre, die ich aus der Geschichte gezogen habe lautet: keine Experimente mehr, wenn es um den Urlaub geht. Ab jetzt nur noch Standardhotel mit Frühstück und heißer Dusche, wann und wie lange ich möchte. Sollen sich doch coolere Menschen als ich Schwindsucht und Rheuma holen.  

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