Ja, es gibt sie noch, Lokführer, die trotz anhaltenden Streiks, jede freie Minute nutzen, um ihre Loks auf den Schienen am Laufen zu halten. Man findet sie vielleicht nicht auf deutschen Bahnhöfen, aber in kleinen Spezialläden, die vom Miniatur- Haltesignal bis zum ausgewachsenem ICE inkl. Speisewagen H0 Spurgröße alles für den Hobbyschaffner in den Regalen gestapelt haben. Und so ein Eisenbahnerparadies betrat ich vor kurzem, um für den Vater meiner besseren Hälfte ein passendes Geburtstagsgeschenk zu kaufen. Dieser sammelt nämlich Modellautos („Maßstab 1:87 bitte“ – Anm. bessere Hälfte) und hiervon jedoch nur die Polizeiwagen, was wiederum mit seinem Beruf zu tun hat. Der Leser ahnt es, mein Schwiegervater in spe ist ein kurz vor der Pension stehender Polizist.
So betraten Susanne und ich ein verstecktes Spezialgeschäft in der Sonnenstraße und ließen uns von dem Zauber dieses Paralleluniversums gefangen nehmen. Der Laden liegt recht versteckt in einer Passage und das Schaufenster ist vollgebaut mit Lokomotiven und Waggons der letzten 200 Jahre, Modellbausätzen für Bahnhöfen und eben auch Modellautos. Der Staub und die orginal angebleichte Patina auf den Exponaten lassen vermuten, dass diese Auslegeware wohl nicht im Monatszyklus ausgetauscht wird. In Anbetracht der schieren Menge der Züge, Plastikhäuschen und des sonstigem Bahnerequipments scheint mir eine häufigeres Wechseln der Schaustücke als – sagen wir mal – alle 15 bis 20 Jahre auch nicht als betriebswirtschaftlich sinnvoll. Aber genau das gibt dem Laden eben die „Streetcredebility“, die es braucht, um von den echten Modellbaufans als „the place to be“ akzeptiert zu werden. Im Laden sieht es kein bisschen anders aus. Überall stehen Sammlerstücke in limitierter Auflage, mit und ohne Sonderbemalung gebraucht für ein Taschengeld bis zu Luxuslokomotiven, für die man auch gerne vierstellige Eurobeträge ausgeben kann.
Besonders gut haben mir die kleinen Figürchen gefallen, die man als Passanten auf die Modelleisenbahn stellen kann. Zu finden gab es auch Männchen und Weibchen, die ob ihrer biblischen Nacktheit und gebückten oder liegenden Körperhaltung wohl das Sammelset für den Pornodreh auf der kleinen Miniaturwelt darstellen. Trotz der fingernagelkleinen Größe der Plastik-Lovebirds haben sich die Künstler, die den Schambereich und Brustwarzen bemalten, sehr große Mühe gegeben, sodass man diesen kleinen 1:87 Menschlein eine gewisse Erotik nicht absprechen kann. Um so erstaunlicher, dass auf der Schachtel kein FSK 18 Hinweis zu finden ist.
Wir wurden, wie erwartet, bestens vom Händler beraten, welches Polizeiauto wir am besten kaufen sollten. Unterstützt wurden wir von einem älteren Kunden, der ebenfalls Autosammler war und uns mit seiner hundertjährigen Erfahrung tatkräftig unterstützte. Am Ende wurden es ein amerikanisches und ein Südtiroler Polizeiauto. Leider gab es keine Wasserwerfer oder sonstige Polizeipanzer und auch keine Demonstrantenfigürchen, die von der „repressiven Staatsmacht“ mit Tränengas und Schlagstöcken bearbeitet werden. Das hätte ich gerne gekauft, denn Susannes Vater war seinerzeit auch in Brokdorf. Allerdings gehörte er – wie erwarten – nicht zu den langhaarigen Regenmantelträgern, deren „demokratische Grundrechte mit Füßen getreten“ wurden, sondern zu den Representanten der behelmten Staatsmacht mit den dicken Wasserstrahlen. Der Mann hat Humor, es hätte ihm bestimmt gefallen 🙂