Heute liebe Leser möchte ich über die preiswerte Möglichkeit der Selbstversorgung in der Großstadt schreiben. Bei meinen morgendlichen Joggingeinheiten habe ich vor geraumer Zeit die Abkürzung zur Isar über den alten Südfriedhof entdeckt. So schön das Glockenbachviertel auch sein mag, aber der naturverliebte Mensch (zu denen ich mich zähle) hat es hier schwer, einen grünen Flecken zur körperlichen und geistigen Labung zu finden. Um so mehr lernt man dann ein Kleinod wie den Südfriedhof zu schätzen, das mitten im Glockenbachviertel liegt und viele alte Bäume und Grabsteinen und Gräber von Großbürgern wie Brauereibaronen sowie Geistesgrößen wie Justus Liebig (wer kennt ihn nicht, den Erfinder des Brühwürfels und des Bunsenbrenners) oder Carl Spitzweg beheimatet.
Ich glaube, die letzte Leiche wurde hier vor 100 Jahren unter die Erde gebracht. Dementsprechen sieht es auf diesem Gottesacker auch aus. Viele von Moos, Flechte und Efeu überwucherte Grabmale zeugen von einer einstmals großen Zeit, als sich der Industriemagnat noch einen übermenschgroßen Engel auf einen Marmorsockel setzen liess und als Gedenkspruch so etwas Sinniges wie „Ferdinand von Schrobenhuber, Privatier, Künstler und Mäzen“ in goldenen Lettern in den Stein hämmern lies. In dieser morbiden, wildromantischen Umgebung trotte ich allmorgentlich Richtung Isar in der Hoffnung, dass ich mit dieser Art der Selbstkasteiung meinen körperlichen Zerfall wenigstens ein bißchen aufhalten kann. Sollten sich positive Auswirkungen auch bezüglich des Hüftgolds einstellen, um so besser!
Heute Morgen trabte ich also wieder im Halbschlaf vor mich hin – rechts alte Gräber, links alte Bäume, vor mir eine Joggerin, die sich noch nicht ganz schlüssig zu sein schien, ob sie schnell gehen oder auch noch die Arme im passenden Rhythmus der Schritte schwingen soll, damit es wenigstens ein bisschen nach Laufen aussieht, über mir kalter Frühlingsnieselregen. In diesem trostlosen, menschenverachtenden Umfeld fiel mir plötzlich auf, dass der ganze Friedhof mit Teppichen von frischem, saftigem Bärlauch bedeckt ist. Wenn man sich überlegt, dass einen Kilometer weiter nördlich der Viktualienmarkt zu finden ist und dort ein Bund eben jenes Krauts als Frühlingsbote für 4-5 Euro käuflich erstanden werden kann, braucht es nicht viel Geistesleistung, was mir schlagartig durch den Kopf schoß. Keine Angst, Befürchtungen, der Bärlauch könne mit Hundefäkalien verunreinigt worden sein, kann ich ruhigen Gewissens verneinen. Auf den ehrfürchtigen Gottesacker haben unsere vierbeinigen Freunde keinen Zugang. Und überhaupt, wer sagt, dass der Luxus Bärlauch vom Viktualienmarkt nicht durch eine in freier Wildbahn grasenden Kuh per Golden Shower veredelt worden ist?
Lange Rede kurzer Sinn, in der Mittagspause bin ich für eine schnelle Ernte auf den Friedhof gegangen. Heut Abend gabs dann Spaghetti mit original Münchner Bärlauchpesto. Vom Spitzweg Grab war der Bärlauch nicht, aber immerhin in Sichtweite des Malerfürsten. Und was soll ich sagen, es war deliziös! Ist es nicht schön zu wissen, dass es auch in einer der teuersten Städte Deutschlands noch kleine Ecken gibt, wo man sein Abendessen gratis erwirtschaften kann? Ich bin bestimmt nicht das letzte Mal zur Ernte auf dem Friedhof gewesen. Nachdem ich ja nun etwas sensibilisert bin, werde ich die Augen aufhalten. Vielleicht sind hier auch weitere Gemüse und Kräuter des täglichen Lebens zu finden: Gurken, Kohlrabi, Karotten, Kürbisse….