Seit langem habe ich meiner alten Heimat im Schwarzwald einen Besuch abgestattet. Abgesehen davon, dass ich immer wieder gerne meine Eltern besuche, nutze ich gerne die Gelegenheit, den Inhalt meines Kleiderschranks mit dem einen oder anderen Kleidungsstück zu ergänzen. Das hat nicht unbedingt damit etwas zu tun, dass es dort eine besonders breite Auswahl an derrier crie Modeläden und Stylingshops gäbe. Dieser Umstand ist mehr der Tatsache geschuldet, dass sich in der Provinz einfach weit entspannter einkaufen lässt als in München an einem Samstag. Eigentlich ist das schon ein recht obskurer Zustand. Da gehen Großstädter in der Provinz einkaufen weil die Stadt, in der man lebt, am einzigen Tag, an dem ein fleißig arbeitendes Mitglied der Gesellschaft Zeit zum shoppen findet, von Brüder und Schwestern aus dem näheren und weiteren Umland überschwemmt wird. Für mich wird so jeder Versuch, ein passendes Outfit für die kommende Saison zu finden, zum Horrortrip. Ich denke mir, so müssen schwerst Drogenabhängige fühlen, wenn sie sich an einem kalten Entzug versuchen. Dies äußert sich in Herzrasen, kaltem Schweiß, einem Stresshormonpegel wie der eines Top-Gun Pilot beim Luftkampf gegen den bösen Russen und konstantem Tunnelblick.
Im Allgemeinen finde ich immer etwas oder sogar etwas mehr, als ich eigentlich bräuchte. Nur diesmal hat es leider nicht geklappt. Dabei wollte ich eigentlich nur ein Sakko erstehen, der sich gefällig zu einer Jeans und eleganten Lederschuhen tragen lässt, um bei offiziellen Anlässen nicht gleich mit dem Maßanzug und handgewebter Seidenkrawatte nebst Einstecktuch erscheinen zu müssen. Ich habe langsam das Alter und die gesellschaftliche Position erreicht, um einen gewissen disdinguierten Lebensstil zeigen zu dürfen, ja vielleicht sogar schon zu müssen. Erschreckender Weise wurde mir beim örtlichen Anzug Dealer meines Vertrauens erklärt, dass es schwer werden würde, ein Sakko für mein Ansinnen zu finden, man trage es einfach nicht mehr…. Oha, hatte ich da vielleicht einen gravierenden Modetrend verschlafen? Ich hätte geschworen, dass ich noch zwei Wochen zuvor auf einer geschäftlichen Veranstaltung 90% der männlichen Besucher mit eben diesem Bekleidungsstück gesehen zu haben. Gut, das war in München und nicht im Schwarzwald. Vielleicht hat sich das mit dem No-Go Sakko zu Jeans noch nicht so weit in den Osten herumgesprochen. Von den Checker-Disco Teilen mit übergroßen bling-bling Applikationen auf dem Rücken und Used-Look Schrammen am Revers einmal abgesehen, gab es keine – nennen wir es mal jugendlich sportlich geschnittene – Anzugjacken mit Revers. Da ich mit diesem Kleidungsstück aber gedenke, bei Tage unter normale Geschäftsleute treten und nicht bei Germany sucht die nächste Superheulboje aufzutreten, war dies natürlich keine wirklich ernst zu überlegende Alternative. Und ansonsten – ich lüge nicht – gab es nur Glenchecks mit Goldknöpfen, oder Zweireiher im gerontologischen „casual Stil“. Es war tatsächlich so. In allen Bekleidungsläden, die ich aufsuchte, gab es keine einzelnen Sakkos zu kaufen, die einem aufstrebenden Mitt-Dreißiger gebührend hätte kleiden können.
Etwas ernüchtert ließ ich mich in einem sonnenüberfluteten Straßen Cafe nieder und betrachtete bei einem Milchkaffee das vorbei laufende Publikum. Und je länger ich so vor mich hin beobachtete, desto mehr stellte ich fest: ja, die Menschen hier nennen wirklich einen etwas – nennen wir es individuelleren – Modestil ihr eigen. Es könnte also durchaus sein, dass sich die hiesige gehobene Gesellschaft nicht mit schlecht sitzenden Sakkos auf ausgebeulten Jeanshosen abgibt. Ich möchte nicht zu falschen Vermutungen anregen, immerhin habe ich hier meine Kindheit und Adoleszenz mit Bravour überstanden und möchte auf keines Falls den Eindruck erwecken, provinziell geprägt worden zu sein (ich trug bereits mit 14 Jahren diese wahnsinnig schicken dünnen Lederkrawatten in der Schule, die damals der derier crie waren und von Tubs und Crocket in Miami Vice getragen wurden. Diesen Umstand verdanke ich noch heute, ohne Unfall und im Halbschlaf eine Krawatte binden zu können, was erstaunlicher Weise viele Zeitgenossen meines Alters immer noch immens schwer zu fallen scheint. Erst letzte Woche presentierte mir ein Freund voller Stolz ein kleines Hilfsprogramm auf seinem iPhone, das als kleines Filmchen diverse Krawattenknoten zeigte und das er wirklich wahnsinnig hilfreich findet, weil ers sonst nicht hinbekäme, sich eine Krawatte zu schnüren. Wow, ja, dachte ich mir da, gut, dass ein technisches Wunderwerk wie das iPhone entwickelt worden ist, mit dem man telefonieren, im Internet surfen, Stadtpläne aufrufen und Tetris spielen kann, nur um sich ein Filmchen mit den schönsten Krawattenknoten der letzten 200 Jahre anzusehen. Respekt!).
Möchte sagen, auch auf dem Land ist es möglich, als Trendsetter und modisch aktuell sein Dasein zu fristen. Umso mehr ernüchterte mich der Anblick der örtlichen Gesellschaft. Hier hat die saure Dauerwelle noch genauso ihre Berechtigung wie das Holzfäller Hemd. Gut, das kommt bestimmt alles wieder. Aber als Bewohner eines trendigen Viertels in einer Millionen Metropole ist so ein Kleidungstil schon etwas ungewohnter. Und so konnte ich langsam auch nachvollziehen, was der Herrenausstatter mit „das trägt man heute nicht mehr“ wohl gemeint haben könnte. Man(n) im Schwarzwald trägt keine Sakkos zur Jeans. Gut, zwei, drei vereinzelte Passanten haben das örtliche Modediktat noch nicht mitbekommen oder sie kamen aus einer anderen Stadt, denn sie widersetzten sich dem Sakkoverbot.
Schlussendlich konnte ich dann Susanne dazu bewegen, mich ins Ingolstadt Village zu begleiten, um mit mir nach der aussterbenden Gattung Einzelsakkos zu suchen (eifrige Leser meines Blogs wissen, hier gibt es auch die Beste Boutique der Welt, nämlich einen Fred Perry Outlet, und das alleine ist immer eine Reise wert). Gott sei Dank fällt es Frauen ja nicht ganz so schwer wie uns Männer, sich zum Shoppen überreden zu lassen. Und so habe ich dann also doch noch ein passendes Kleidungsstück zu einem wirklich angenehmen Preis gefunden. Was für eine Odyssee für eine einfache Jacke. Ich hoffe, sie hält ein paar Jahre und ich wachse da nicht so schnell hinaus. Nur gut, dass die nächsten Anschaffungen, die bei mir bekleidungstechnisch anstehen, Dinge wie Socken und Unterwäsche sind. Solche Basics sollten auch im Schwarzwald nicht aus der Mode kommen, sonst muss ich mir wirklich Sorgen um meine Heimat machen….