Nun reise ich seit ein paar Tagen durch das Baltikum, um mich ein bisschen vom Alltagsstress, Kollegen, der Arbeit, nervigen Nachbarn und was sonst noch alles an Gründe für einen Urlaub genannt werden können, zu erholen. Was beim Besuch der baltischen Städte schnell ins Auge fällt, ist neben der wirklich enormen Dichte höchst attraktiver Frauen (so stellt sich ein Salafisten Attentäter wohl den Himmel vor), der ungenierte Umgang mit Herrentaschen. Hier tragen wirklich alle Schichten und Arten von Männer häufig und zahlreich dieses kleine clevere Accessoire, ob Alt oder Jung, Familienvater oder Gay (die gibt es aber angeblich hier nicht, so der allgemein vorherrschende Volksglaube), Punk oder Skater. Wirklich! Hier laufen Punks mit Herrentaschen herum! Wahrscheinlich freut sich dieser lebensfrohe Anarchist, endlich eine Lösung für die Löcher in seinen Klamotten gefunden zu haben. Nie wieder verlorene Tütchen mit Gras, geschnorrtes Kleingeld und Sicherheitsnadeln! Auch die ganz harten Olegs, diese kahlrasierten 1,95m Schränke, die Dank ausgiebigen Besuchen im Kraftraum und ihren nicht unbedingt dezent gehaltenen Tattoos, locker jedes Casting für den psychopathischen Auftragsmörder im nächsten Tarantino Film bestehen würden, tragen reihenweise die maskuline Schwester der Damentasche. Das sieht dann besonders unproportional aus, viel Körper wenig Täschchen. So jemand muss sich natürlich keine Sorgen machen, dass er wegen seines ulkigen Aussehens Kritik ausgesetzt werden könnte. Hier schützt ihn seine in diesem Falle wörtlich zu nehmende Schlagfertigkeit. Wie diese Typen die teils doch recht filigran gearbeiteten Öffnungsmechanismen mit ihren schaufelgleichen Händen geöffnet bekommen, ist deren Geheimnis. Und was diese Herren in ihren lustig anzuschauenden Taschen spazieren tragen, möchte ich nur vermuten. Schlagring und die neueste Ausgabe des „Baltic Muscle Man“ dürfte noch das Harmloseste sein.
Wie auch immer, die doch recht ungewohnt wirkende Herrentasche wird hier genauso selbstverständlich getragen, wie bei uns die Computertasche oder den Daypack Rucksack. Und seien wir doch einmal ehrlich, blöd ist so ein Ding wirklich nicht. Wie häufig denkt Mann sich, toll, ich will nur kurz eine Besorgung machen, eine Jacke ist zu warm und jetzt muss ich mein überdickes Portemonnaie mit den ganzen Plastikkarten in die hintere Hosentasche stecken. Das sieht nicht nur unästhetisch aus, es ist auch nicht bequem. Dann noch das Smartphone, ohne dem der moderne Mensch ja nicht mehr zu atmen fähig ist, in die vordere Tasche gesteckt. Nervt auch, ist unbequem und ruiniert ebenfalls die Optik der überteuerten Designerjeans. Zu guter Letzt noch der Schlüsselbund in die andere Hosentasche, sodass es aussieht, als habe man gerade eine Viagra geschmissen. Wie viel eleganter ist es doch da, sich schnell eine – wenn auch noch irritierend wirkende – Tasche umzuwerfen. Da spannt nichts, der Knackhintern kommt zu seiner vollen Wirkung und sollte man auf dem Rückweg beim Kumpel das vor Monaten ausgeliehene Buch zurückfordern, ist selbst dafür noch Platz. Also, ich habe mich entschieden. Ich werde auch ein Herrentaschenträger und werde meinen Stolz über Bord werfen, auf die Gefahr hin, in my own home town als Schwuppe beschimpft zu werden. Das ist mir aber egal. Es lebe die Bequemlichkeit! Und das Eine ist sicher: die Zeit wird mir Recht geben. In diesem Sinne: Viva la revolution!